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HurricanX
11.09.2004, 14:57
Der grosse Lauschangriff


Als der Siemens-Konzern sich 1993 an der Ausschreibung für einen Hochgeschwindigkeitszug in Südkorea beteiligte, waren sich die Münchner Manager sicher, den Auftrag zu ergattern. Ihr Zug hatte sich in Deutschland bewährt, das Angebot war fair kalkuliert. Um so überraschender ging der Auftrag an ein französisches Unternehmen. Der Grund: Industriespione hatten die Siemens-Datennetze geknackt. Die Konkurrenz unterbot daraufhin die Siemens-Offerte.
Selbst geschützte E-Mails von privaten Personen wären nicht sicher, wenn es nach Ex-Bundesinnenminister Manfred Kanther gegangen wäre: Er hätte Polizei und Zollfahndung am liebsten einen Zugang zur Verschlüsselungs-Software in die Hand gegeben; verdächtig wäre schon jeder Surfer, der seine E-Mails mit einem Kryptografie-Programm verschickt, zu dem die Polizei keinen Nachschlüssel gehabt hätte.

Der Angriff Kanthers auf die Kommunikationsfreiheit ist im ersten Anlauf gescheitert, das sogenannte Krypto-Gesetz blieb mangels politischer Mehrheit nur eine Idee. Gleichwohl beschwörte der Innenminister weiter unverdrossen die Gefahr, Drogendealer und Waffenhändler könnten per Datennetz krumme Geschäfte abwickeln - verborgen vor Gesetzeshütern. Seine Forderungen stießen bei sämtlichen Bundestagsparteien (außer der CSU) auf Kritik: "Das ist so, als würde man das Autofahren allen verbieten, bloß weil Bankräuber gern schnelle BMWs fahren", sagte Jörg Tauss, Internet- Experte in der SPD-Bundestagsfraktion.

Leidtragende wären auch deutsche Unternehmen. Die offene Abhörflanke könnte nicht nur von Polizisten genutzt werden, sondern auch von ausländischen Geheimdiensten, Hackern und Industriespionen.

Diese Begehrlichkeiten erinnerten Bernhard Biedermann, Geschäftsführer des Hamburger Providers Internet Services, an die Informellen Mitarbeiter der Stasi. Der Manager zeigte sich optimistisch, daß Kanthers Pläne auch bei einer neuen Bundesregierung scheitern werden: "Der Versuch des Innenministers, dem Internet-Nutzer Zaumzeug anzulegen, wird zu keinem Ergebnis führen."

Die ganze Debatte eine reine Spiegelfechterei? Die Realität im Netz ist ohnehin völlig anders. Da wird abgehört und verschlüsselt nach allen Regeln der Kunst.

Ausländische Geheimdienste fischen die deutschen Datenbahnen ohne jede gesetzliche Grundlage ab. Besonders neugierig ist dabei die National Security Agency (NSA), der Abhör- und Datenspezialist unter den amerikanischen Geheimdiensten. Rund um den Globus haben die Schnüffler ein flächendeckendes Netz von Abhörstationen namens Echelon gespannt. Fünf Horchstationen überwachen weltweit die Intelsat-Kommunikationssatelliten, die auch Telefongespräche und Computerdaten transportieren.

Teil des Echelon-Netzwerkes ist eine großflächige Antennenanlage im bayerischen Bad Aibling mit rund 1000 Angestellten. Im kalten Krieg Richtung Osten horchend, spionieren die riesigen, Golfbällen ähnlichen Antennen jetzt innerhalb Deutschlands. Der Freund hört mit - fast ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Besatzungsrechts. Richtfunkstrecken, über die auch Telefonate und Daten übertragen werden, sind somit ungeschützt im elektronischen Visier der US-Lauscher vom Dienst.

Der neuseeländische Autor Nicky Hager vertritt in seinem Buch "Secret Power" sogar die These, daß alle E-Mails weltweit von der NSA abgefangen werden. Eine Armada von Supercomputern im NSA-Hauptquartier nahe Washington wertet die global aufgefangenen Mails aus. Ähnlich wie eine Suchmaschine sucht das Rastersystem Memex in Millionen von Mails nach Schlüsselbegriffen.

Das Ziel des digitalen Datenstaubsaugers postuliert NSA-Boß Lieutenant General Kenneth A. Minihan auf der NSA-Website: "Informationsüberlegenheit für die USA." Diesem Ziel dienen vor allem abgehörte Informationen über Wirtschaftaufträge, bei denen ausländische Unternehmen mit der US-Industrie konkurrieren. Credo des NSA-Boß: "Die Kontrolle der Informationstechnologie wird der Schlüssel zur Macht im 21. Jahrhundert sein."

Offiziell - etwa von seiten der Bundesregierung - gibt es keine Bestätigung für die Aktivitäten der Lauscher. Der Geheimdienstaufseher des Bundeskanzlers, Bernd Schmidbauer, deutete gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" an: "Es sind nicht nur osteuropäische Spione, die in deutschen Unternehmen Know-How abzapfen." Und der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss seufzt: "Es ist einfach irre, daß niemand etwas dagegen unternimmt."

Aktenkundig wurden die umstrittenen Aktivitäten der US-Lauscher erstmals durch eine Studie der Europäischen Kommission vom Januar 1998. Darin heißt es: "In Europa werden alle E-Mails, Telefongespräche und Faxverbindungen regelmäßig von der NSA, einer Geheimdienstorganisation der Vereinigten Staaten, abgehört."


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