Hallo.
Ich habe heute zufällig eine Hausaufgabe von meinem Bruder gefunden und wollte sie euch mal zeigen und fragen, was ihr davon haltet und was man hätte besser machen können, also Diskutiert, nachdem ihr diese (lange) Geschichte gelesen habt. Es geht um das Buch "Am kürzeren Ende der Sonnenallee". Die Aufgabenstellung war wie folgt, jeder sollte sich Gedanken über den Brief machen, welche Micha bekommt aber leider verliert, da sie im Todesstreifen landet. Nun ja, die meisten hätten nun einen Liebesbrief geschrieben, aber mein Bruder hatte da die Laune zum schreiben und hat sich was komplett anderes ausgedacht.
Wie gesagt, es ist nur eine Hausaufgabe und ich fand sie interessant.
Jetzt könnt ihr mal lesen, was wirklich im Brief stand:

Hausaufgabe: Was wirklich im Brief stand

Guten Tag,
mein Name ist Karl Adler und bevor ich mit dem Eigentlichen beginne, möchte ich mich euch gerne genauer vorstellen.
Wie schon eben erwähnt, heiße ich Karl Adler und bin 70 Jahre alt. Zurzeit hause ich in West-Berlin und führe ein einsames Leben ohne Frau und Kind. Zudem kommt noch, dass ich die Krankheit Huntington habe, welche mich zwingen wird, bald in die ewigen Jagdgründe einzugehen. Doch dazu kommen wir später.

Zunächst einmal, würde ich gerne erläutern, aus welchen Gründen ich überhaupt diesen Brief verfasse.
Ihr müsst wissen, dass ich in meinem Leben, sehr viele Dinge gesehen habe. Ich habe gesehen wie sich Liebe entwickelt hat und auch gesehen wie diese Liebe zerbrach und daraus Hass wurde. Auch hatte ich stolze Momente, wo ich überglücklich war, doch leider liegt es in der Natur des Menschen, dass er mit Glück nicht umgehen kann. Folglich hielt diese glückliche Zeit meist nicht lange an und entwickelte sich sogar zu einem Tief, welche mir beschämende Momente bescherte.
Da ich nun ein alter, kranker Mann bin, der bald zugrunde gehen wird, zudem auch noch niemanden mehr hat, wollte ich meine Zeit nicht damit verbringen, mich in Selbstmitleid zu baden. So kam ich auf die Idee einen letzten Brief über mein Leben zu verfassen.
Durch diesen Brief, möchte ich einfach mein Leben revue passieren lassen und euch gerne zeigen, wer ich war. Denn nur so ist es möglich, nicht in Vergessenheit zu geraten. Schließlich soll sich irgendjemand an mich erinnern. Genau deswegen, werde ich im Folgenden euch mein Leben zeigen.

Von der Wiege bis zur Bahre:

Mein Leben begann in Frankreich, denn in der Auvergne, genauer genommen in der Stadt Le Puy-en-Vellay, am Hang eines erloschen Vulkankegels bei den Zentralmassiven, wo die Landschaft so atemberaubend ist und die Luft so angenehm ist, dass man denken würde, man wäre im Paradies, wurde ich als Karl Frank Adler geboren.
Den Namen Frank mochte ich eigentlich noch nie, aber wie in vielen anderen Familien, dachten sich auch meine Eltern, dass ein einziger Name nicht reichen würde. So kam es, dass sie sich untereinander einigten. Jeder durfte seinen favorisierten Namen dem Kind, also mir, geben.
Frank nannte mich immer meine Mutter. Sie war gebürtige Französin und war wohl der Meinung, dass Frank französischer klingt. Zwar habe ich nicht reichlich Erinnerungen an sie, aber eins weiß ich noch mit Gewissheit und zwar, dass sie wunderschön und atemberaubend war. Ihre langen braunen Haare und kastanienbraunen Augen, strahlten für mich immer ein Gefühl der Geborgenheit aus. So kam es auch, dass ich mich sehr wohl in ihrer Nähe fühlte, fast schon so, als ob ein Engel über mich wachen würde.
Ihr Name war genauso schön wie ihr Aussehen. Sie hieß Cecile.
Mein Vater dagegen, ein gebürtiger Deutscher, zog den Namen Karl vor. Er vertrat schon immer die Ansicht, dass ein deutscher Name, männlicher sei. Er selber war ein kräftig gebauter, voll bärtiger und überaus dominanter Mann. Er war so dickköpfig, dass man schon fast hätte denken können, man rede gegen eine Mauer, wenn man sich mit ihm unterhielt. Wie jeder Mann, hatte aber auch Alexander, denn so hieß mein Vater, seine Schwachpunkte. In diesem Fall war es meine Mutter, denn ihr konnte er keine Bitte abschlagen. Das Lag einfach daran, dass er sie über alles liebte. Schließlich verließ er Deutschland und ließ all seine Verwandten zurück, nur um mit meiner Mutter in Frankreich, am Zentralmassiv, ein verträumtes und angenehmes Leben führen zu können. Obwohl er ein einfacher Schmied war, schaffte er es, uns immer vollends zu versorgen.
Meine Kindheit verlief nicht so, wie eine Kindheit verlaufen sollte. Da ich 1912 geboren wurde, bedeutete es, dass in den folgenden Jahren der erste Weltkrieg begann. Eine ganze Weile blieb uns die Qual vom Krieg erspart und wir konnten ruhigen Gewissens Nachts ins Land der Träume wandern. Doch so unfair wie das Leben ist, eilte die Qual und die schlechte Zeit auf Pferden zu uns. Es war ein lauer Sommerabend, als Soldaten der feindlichen Armee mit ihren teuflischen Pferden in unsere Stadt eindrangen. Ich verstand am Anfang den ganzen Tumult gar nicht, denn seien wir mal ehrlich, welcher fünf jährige Junge würde es Ahnen, dass ein Sturm in Gestalt von Soldaten über unsere Stadt herzieht. Auf jeden Fall, waren ich und meine Mutter, an diesem Abend auf der Straße spazieren. Händchen haltend promenierten wir von einer Straße zur anderen und sahen das Licht des Vollmondes. Doch dieser besondere Moment, wo Kind und Mutter überglücklich die Zeit miteinander genießen konnten, hielt nicht lange an. Von einem Moment zum Nächsten nahm meine Mutter mich in ihre Arme und umschlang mich so fest, dass ich kaum noch atmen konnte. Dann ging es ganz schnell. Ein ohrenbetäubendes Geräusch war plötzlich zu hören. Im nächsten Moment fiel meine Mutter auf den Boden und ich mit ihr. Auf dem Boden und starr vor Angst lagen ich und meine Mutter regungslos da.
Die Angst übernahm die Kontrolle und ich heulte los. „Mama, Mama“, schrie ich, aber vergebens. Sie antwortete nicht. Doch dann nahm irgendwer meine Hand und zog mich hoch. Es war mein Vater. Ach, wie froh ich war. Was er dann aber tat, war nicht das, was ich dachte, dass er tun wird. Er half nicht meiner Mutter, nein. Stattdessen rannte er los, mit mir auf seiner Schulter. Das einzige was ich von seiner Schulter aus erblicken konnte, war der am Boden zurückgebliebene Körper meiner Mutter. Dieser Körper wurde mit jedem Meter, den mein Vater zurück ließ, kleiner und kleiner, bis er nicht mehr zu sehen war. So blieb mir nur noch ein schwarz-weiß Foto von meiner Mutter übrig.

Inzwischen gingen einige Jahre vorbei. Mein Vater und ich wohnten nun in Meiringen, in einer kleinen Stadt, in der heutigen Schweiz. Dort baute er für mich und ihn ein neues Leben auf und wir versuchten alles hinter uns zu lassen. Doch die Vergangenheit ist ein lästiger Verfolger der Menschen. So plagten uns schmerzhafte Erinnerungen und traurige Zeiten, bis wir einen Neuanfang versuchen konnten um einigermaßen normal leben zu können. Ich wuchs zwar ohne Mutter auf, aber mein Vater tat das bestmögliche für mich. Mit Tränen in den Augen sagte er einmal zu mir, „Sohn du bist das einzig wichtige in meinem Leben und ich werde stets das tun, was für dich am besten ist, denn das bin ich deiner Mutter schuldig.“
Dort ging ich also auf die Schule. Leider stellte sich schon früh fest, dass ich keine besondere Begabung in Thema – Umgang mit Menschen und suchen neuer Freunde hatte. Zu meinem Glück aber, entwickelte ich das Interesse an Büchern. Ich, der einsame Einzelgänger in der Schule, hatte also meine Bücher als Freunde. Was soll ich sagen, ich war eine Leseratte. Ich las alles was ich in die Finger bekam. Doch am liebsten las ich Krimis.
So kam es, dass ich mit 14 Jahren, perfekt Englisch, Deutsch und Französisch sprechen konnte. Leider brachte es mir nicht so viel außerhalb des Hauses, da ich niemanden hatte zum reden. Dennoch genoss ich mein leben.
Tage und Nächte vergingen und mein Tagesablauf wiederholte sich immer wieder. Morgens ging ich zur Schule, saß meine Stunden ab, manch einer wird jetzt denken, dass es sich anhört, als ob ich im Gefängnis war, da hätte er auch nicht ganz unrecht, denn so war es auch für mich. Nach der Schule, eilte ich sofort zu den Reichenbachfällen um dort, Bücher zu lesen. Dort hatte ich nämlich meine Ruhe. Es war ein Ort, wo ich mich immer zurückziehen konnte. Die Wasserfälle belauschend saß ich täglich da, ließ mich inspirieren und las meine Bücher. Was ich am liebsten las, waren die Bücher von Sir Arthur Conan Doyle. Ich liebte einfach die von ihm geschaffene Figur namens
Sherlock Holmes. Wie er seine Fälle löste, wie perfekt er die Methode der Deduktion beherrschte, wie sportlich, aber auch musikalisch er war, das und vieles mehr faszinierte mich immer wieder. Außerdem blieb mir eins seiner Zitate immer im Kopf hängen, nämlich „Wenn ich sie mit Gewissheit vernichten könnte, würde ich zum Nutzen der Allgemeinheit mit Freude den Tod begrüßen“. Dieses Zitat zeigte mir eine völlig neue Perspektive, denn ich sah das Leben nun von einer anderen Seite. Mir wurde klar, dass der Egoismus nicht immer dominieren darf, obwohl es in der Natur des Menschen liegt. Schließlich ist es so, dass wir nicht alleine für etwas höheres bestimmt sind, sondern nur gemeinsam etwas hohes vollbringen können.
Gegen Abend, lief ich dann nach Hause und wartete auf meinen Vater, der erst sehr spät von seiner Arbeit zurück kam. Gemeinsam speisten wir dann und gingen auch immer recht früh schlafen.
Ich dachte schon, dass diese Monotonie des Lebens nie Enden würde. Dem war aber nicht so. Eines Tages, als ich ausnahmsweise mal früher das Lesen beendete und nach Hause ging, sah ich vor unserer Haustüre eine Ansammlung von Menschen. Ahnungslos rannte ich zur Haustüre, quetschte mich durch die Menschenmenge und landete im Wohnzimmer. Dort sah ich wie unsere Nachbarn und zwei Ärzte sich vor einem Körper, welcher auf dem Boden lag, verbeugten und bizarre Mienen machten. Es war mein Vater. Sofort ging ich zu ihm auf den Boden und brach in Tränen aus. „Vater, Vater! Wach auf, ich bin wieder zu Hause.“ Ich dachte ich hätte ein Déjà-vu. Mein Vater antwortete nicht. Wenige Augenblicke später merkte ich auch warum. Seine Pulsadern waren aufgeschnitten und das einzige was sich im Raum bewegte, war sein Blut, welches von ihm aus zur Wohnzimmercouch wanderte. Ich verstand die Welt nicht mehr, warum zum Teufel hatte er das gemacht? Warum!?
Die ganze Nacht vergoss ich tränen, bis ich aus Erschöpfung in den Schlaf fiel.
Ein schwarzes Nichts umgab mich.

Zwei Jahre vergingen seit Vaters Tod und ich wohnte nun in West-Berlin. Mich konnte einfach nichts mehr in der Schweiz halten. So kam ich auf die Idee, Soldat in Berlin zu werden. In den zwei Jahren hatte ich mich auch ein wenig geändert. Ich versuchte nun Freunde zu finden. Als junger Soldat, genau genommen als achtzehn jähriger Soldat, war es auch nicht so schwer. Mit meinen Kollegen, tat ich das, was alle Soldaten in unserem Alter taten. Wir gingen in Bars, vergnügten uns mit unserem Freund, dem Alkohol, spielten Poker und gafften hübschen Mädchen hinterher. Natürlich blieb es nicht nur bei dem gaffen, denn wer Respekt genießen wollte, musste die schönste Frau umgarnen. Ich allerdings, hielt mich zurück. Erstens war ich viel zu schüchtern, obwohl man mir sagte, dass ich keinen Grund dazu hätte und zweitens hatte ich nicht den Nerv mich um ein Mädel zu kümmern. Ich hatte nämlich genug Probleme am Hals, da käme ein Mädchen gänzlich ungelegen. Mit achtzehn schon keine Eltern zu haben und alleine in West-Berlin zu leben war nicht das, was ich mir erhofft hatte. Nach Mutters Tod dachte ich immer, das ich ein ruhiges und beschauliches Leben mit meinem Vater führen würde. Falsch gedacht, denn alles entwickelte sich zum Gegenteil. Folglich arbeitete ich über die Jahre als eifriger junger Soldat und erntete immer mehr Geld.
Zwischen drinnen hatte ich zwar das eine oder andere Mädel, damit ich mal auf den Genuss kommen konnte und auch meinen Durst stillen konnte, aber sie, die Liebe, blieb mir verschwiegen.

Als ich 27 wurde, begann der zweite Weltkrieg und es brach eine weitere schwere Zeit ein. Unter der Führung Adolf Hitlers, welcher mit Sicherheit ein Genie war, was auch an Wahnsinn grenzte, man sagt ja Genie und Wahnsinn liegen nah beieinander, zogen wir in den Krieg. Ich aber,...nun ja, ich hielt nichts von ihm. Doch ich war nicht der alleinige Verräter der von seinem Führer nichts hielt, nein. Die Mehrheit der Soldaten in unserem Lager mochten ihn nicht. Wir verstanden einfach nicht, warum schon wieder Krieg geführt werden müsse. Ist der Mensch einfach jemand, der Blut fließen lassen muss um seinen Hunger zu stillen?
Jedoch zum Wohl aller, wurden wir Opportunisten.
Tag für Tag zogen wir los und schossen wie Barbaren wild um uns. Für uns zählte es nur zu überleben. Wen wir töteten war uns egal, solange wir am Ende heil daheim ankommen würden. Selbstverständlich schaffte es nicht jeder und sehr guten Freunden wurde der Kopf weg- geschossen, sodass ich einige Male vom zusehen erbrechen musste.
Ich aber, ich schaffte es immer wieder heil aus dem Geschehen davon zu kommen. Ach, wie viele Freunde musste ich auf dem Schlachtfeld zurücklassen. Nein, noch schlimmer, wie vielen Menschen nahm ich das Leben. Oh Gnade mir Gott.
Es kam die Zeit, in der wir russisches Roulette spielten. Zu meinem Glück oder auch Pech, möge es jeder so sehen, wie er will, hatte ich immer ein leeres Händchen. So musste ich mir mit anschauen, wie Soldaten ihr eigenes Hirn weg schossen. Glaubt mir wenn ich sage, dass solch ein Anblick den Appetit stillt.

Ich überstand die Qualen und erreichte nach einer langen Zeit, das Alter von 30 Jahren. Es war mein Geburtstag, Montag der 24. April. Eine der wenigen Abende, an denen ich frei hatte. Ich beschloss diesen Abend alleine zu feiern und ging deshalb in den Park. Dort setzte ich mich auf eine verlassene Parkbank und begann nachzudenken. Stunden vergingen und ich hatte fast das Buch „Von Mäusen und Menschen“ zu Ende gelesen als eine junge Dame vor mir anhielt und mich nach der Uhrzeit fragte. Uninteressiert antwortete ich, ohne ihr Gesicht zu erblicken, was ein Fehler war, stellte sich im Nachhinein fest. Nach dem ich zügig ihr die Antwort gab, lief sie weiter. Wenige Sekunden später hörte ich, wie sie um Hilfe schrie. Widerwillig stand ich auf, ihr müsst wissen, dass wenn ich mal angefangen habe etwas zu lesen, mich fast nichts zum aufstehen bringen kann, rannte los und überblickte die Lage. Es war ein Mann der sie bedrohte. Er hatte ein Messer in der Hand und hielt in der anderen Hand ihre Handtasche. Ohne nachzudenken rannte ich los und versuchte den Mann zu überwältigen.
Es dauerte zwar, aber nach einem harten Kampf, konnte ich ihn entwaffnen, zog mir zwar eine Schnittwunde am Arm zu, aber es war nicht der Rede wert und zwang den Mann zur Flucht.
Nun stand ich da und vor mir lag diese Frau auf dem Boden. Was sollte ich nun tun? Ein „Wie geht es ihnen?“ wäre nicht angebracht in dieser Situation. So nahm ich ganz langsam ihre Hand und unterstützte sie beim Aufstehen. Als sie wieder normal stehen konnte und ich ihr Gesicht erblicken konnte, vermochte ich kein laut von mir zu geben. Ich war sprachlos. Sie war wunderschön. Als unsere Augen sich dann im hellen Mondschein der Nacht trafen, war mir eins sofort klar. Das was gerade in diesem Moment geschah, war das, was alle anderen Menschen erhofften ein Mal im Leben zu erleben. Es war Liebe auf den ersten Blick. Auch sie spürte diese Präsenz der Liebe.
Was dann kam, es wird sich vermutlich wie eine unrealistische Lovestory anhören, war ein Kuss, der unbeschreiblich und wunderschön war. Dabei hatten wir noch nicht ein mal unsere Namen ausgetauscht.

„Melina, Schatz, wach auf! Du kommst ja sonst zu spät zur Arbeit.“, flüsterte ich. Mich anlächelnd stand sie auf, richtete sich und eilte dann zur Arbeit. Melina, eine Krankenschwester und ich waren seit zwei Jahren zusammen. Seit der seltsamen Nacht im Park, als ich ihr geholfen hatte, schafften wir es nicht eigene Wege zu gehen.. Ich liebte sie sogar so sehr, dass ich mir vornahm ihr einen Heiratsantrag zu machen. Leider forderte so etwas eine Menge Mut und Selbstvertrauen, was ich als 32 jähriger nicht besaß. Zwar konnte ich gegen bewaffnete Männer kämpfen, aber wenn es um die Liebe ging, war ich ein schüchterner kleiner Junge.
Der Krieg hatte sich inzwischen weiter zugespitzt und es wurde immer gefährlicher. Man hätte jeden Moment umkommen können, so ungewiss war die Lage.
Ein Jahr vor Kriegsende, bekam unsere Einheit eine letzte Mission auf gebrummt. Unser Kommandant nämlich hatte vor, uns für eine Woche
nach Polen zu schicken. Anscheinend hatten sich Engländer in Szczecin
eingenistet und unserer Mission bestand darin, unnötige Parasiten auszulöschen.
Doch bevor ich losgehen konnte, musste ich mich von Melina verabschieden. Wir hatten das sämtliche Male durchlebt. Ich musste weg und jedes mal war es sehr schwer für uns beide, weil sie wusste, dass die Wahrscheinlichkeit bestand, dass ich nie wieder heimkehren könnte.
Voller Begeisterung zogen wir los. Ich glaube, wir waren so glücklich und froh wie bei einem Beinbruch am ersten Ferientag. Dort angekommen teilte man uns verschiedenen Bezirken zu. Wir waren jeweils zu dritt unterwegs. Bei mir in der Gruppe war ein Pole, dessen Name ich heute noch nicht aussprechen kann und ein weiterer Deutscher namens Paul. Am Zielgebiet angekommen, verschanzten wir uns in ein leer stehendes Haus und hielten dort nach Feinden Ausschau. Die meiste Zeit war es langweilig, da nichts passierte, worüber ich im Nachhinein glücklich bin, aber zu diesem Moment waren wir einfach unterfordert und wussten nicht was wir mit der Zeit anfangen sollten.
Nachts wurde es dann noch ruhiger. Wir wechselten uns immer ab und schliefen in Schichten. Wenn was geschah, weckte uns der noch wach Gebliebene auf.
Tagelang rührte sich nichts und wir dachten, dass wir es alle heil überstehen werden. Doch plötzlich hörten wir von weitem Schüsse. Wir stellten uns die Frage, ob die Feinde wohl für Unfug sorgten.
Die Schüsse wurden immer klarer und klarer, bis wir uns sicher waren, dass sie in unserer Nähe waren. Ein lauter Schuss war zu hören und genau im selben Moment fiel unser Pole um. Das Blut floss von seiner Stirn aus runter. Er war am Kopf getroffen worden. Klarer Fall, er war auf der stelle tot. Ich und mein deutscher Kollege legten uns auf den Boden und krochen weg. Man hörte immer mehr Schüsse. Die Hände an unseren Waffen und die Augen von links nach rechts jagend krochen wir. Außerdem befürchteten wir, dass wir es nicht schaffen würden, aber wir schafften es.
Nach einer Weile, als wir dachten, dass wir sicher sind. Liefen wir
langsamer und mit normaler Haltung. Dennoch waren unsere Hände an den Waffen und unsere Augen wanderten stets von links nach rechts.
Kurz vor dem Hauptsitz angekommen, passierte etwas, was mich seit dem nicht verlassen hat. Ich machte eine unkontrollierte Bewegung und gab Schüsse ab. Eins dieser Schüsse traf Paul. Ich verstand es nicht und war zutiefst geschockt. Es war so, als könne ich meinen Körper nicht kontrollieren. Ich konnte es nicht begreifen, wie konnte so etwas passieren. Welcher Mensch kann seine eigenen Hände nicht kontrollieren? War es aus Angst? Diese und viele weitere Fragen stellte ich mir, während Paul in meinen Armen verstarb. Beim Hauptsitz angekommen, sagte ich, dass ich der einzige Überlebende aus meiner Gruppe bin und die Engländer uns zum Rückzug gezwungen haben. Wenig später war auch meine Mission zu Ende und man schickte mich zurück nach Hause, zu meiner Geliebten.
Natürlich machte ich mir auch Hoffnung, indem ich mir einredete, dass so was, wie damals beim Paul, nie wieder vorkommen werde und eine einmalige Angelegenheit war. Doch ich irrte mich erneut, wie es mir die Zukunft zeigte.

Der Krieg war zu Ende und ich überlebte wieder einmal. Auch heiratete ich Melina und wir verbrachten wunderbare Jahre zusammen. Wir beschlossen sogar ein Baby zu bekommen, weshalb sie auch schwanger wurde. Doch ein Problem hatte unsere Ehe. Es waren diese unkontrollierten Bewegungen. Denn diese wurden stärker nach der Zeit in Polen. Ich und Melina beschlossen darauf hin zu einem Arzt zu gehen. Zweifellos,
nur um sicher zu gehen. So gingen wir zur Arztpraxis und warteten dort, bis wir dran kamen. Der Arzt machte ein paar Tests, stellte ein paar Fragen und versuchte gründlich eine Lösung zu finden. Was er aber schließlich aus zahlreichen Tests bestätigt bekam war, dass ich eine Erbkrankheit namens Chorea Huntington habe. Darauf folgte chinesischer Fachmist. Fakt war, dass diese Krankheit ungewollte
Bewegungen hervorruft und Bewegungsarmut verursacht. Zuletzt endet
sie mit dem Tod. Super, dachte ich mir. „Also lassen sie es mich zusammenfassen. Ich leide an einer Erbkrankheit, welche es mir in den folgenden Jahren erschweren wird meinen Körper zu kontrollieren, bis ich diese Kontrolle ganz verliere. Dann werde ich vermutlich verrückt und zum krönenden Abschluss sterbe ich. Super Sache! Als ob mein Leben nicht verkorkst genug war, darf ich zum Finale auch noch an einer Krankheit ex gehen.“, sagte ich zum Arzt in Gedanken vertieft. Benebelt von dieser Information, verließen ich und meine Frau die Praxis und gingen Heim.

Schnell stellte sich fest, dass es für Melina kein leichtes Leben mit mir werden sollte. Ich warf ungewollt Geschirr auf den Boden, zerquetschte Tomaten in meiner Hand und schaffte es manchmal nicht, die Fernbedienung ruhig in der Hand zu halten. Eines Abends spülten wir gemeinsam in der Küche das Geschirr ab. Es verlief recht gut. Wir plauderten und erfüllten unsere Tätigkeiten als Mann und Frau. Doch dann hatte ich ein Messer in der Hand. Ich spülte es ab und beim Versuch das Messer ab zu legen, machte ich ungewollt eine unkontrollierte Bewegung, sodass ich Melina am Arm schnitt. Es war ein sehr schlimmer Moment und ein Tiefpunkt in meinem Leben. Ab da an stellte ich mir die Frage, ob es wirklich gut wäre, wenn ich bei Melina und dem ungeborenem Kind wäre. Ich meine, ich bin eine wandelnde Zeitbombe. Niemand weiß, wann ich zuschlagen könnte. Auch machte ich mir Gedanken über meinen Vater. War es möglich, dass er sich nur umgebracht hatte, um mich zu schützen? Der Arzt sagte, dass es eine Erbkrankheit sei, also wäre es nicht abwegig zu denken, dass er es auch hatte. Jetzt verstand ich ihn. Um seine Familie zu schützen, opferte er sich. Nun musste ich was für meine Familie tun. Nach einer langen Diskussion und viel Tränen in Seiten von Melina, kamen wir zu dem Entschluss, dass es für sie und das Kind besser wäre, wenn sie sich von mir trennen würden.
Es fiel uns beiden sehr schwer, aber es war die richtige Entscheidung
und oft ist die richtige Entscheidung nicht leicht. So zog sie weg von
Berlin und ging nach Düsseldorf, denn dort wohnten ihre Eltern. Seit dem sah ich Melina nie wieder und machte mir jeden Tag Gedanken über sie und wie es verlaufen hätte können, wenn ich diese Krankheit nie bekommen hätte.

Seit dem lebe ich alleine und versuche niemandem außer mir Schmerz zuzufügen. Doch die Einsamkeit macht einen verrückt, so wie es im Buch „Von Mäusen und Menschen“ erwähnt wurde. „Ein Typ wird verrückt, wenn er niemanden hat. Es macht keinen Unterschied, wer der Typ ist, so lange er nur bei dir ist. Ich sag dir...ich sag dir, wenn ein Typ
zu einsam wird, wird er krank“.

So sitze ich hier und warte auf den Tod und bettle darum nicht in Vergessenheit zu geraten.


Karl Frank Adler








Copyright Yetkin