Staunende Kulleraugen, schnittiger Seitenscheitel: So sieht Adolf Hitler in einem japanischen Manga aus, der den Originaltext von "Mein Kampf" als Vorlage nimmt. Die absurde Idee dahinter: Der Comic soll japanischen Kids deutsche Literatur nahebringen.
Er ist ein schmucker Knabe, dieser Hitler. Mit seinem Seitenscheitel, den riesengroßen staunenden Augen, den offenherzigen Gesichtszügen. Auch später, als er kein Kind mehr ist, kann man ihm eine gewisse Attraktivität nicht absprechen. Vor allem, wenn er beim Tod der Mutter weint und sich auf ihren Sarg wirft, oder als abgewiesener Kunststudent mittellos durch Wien irrt. Ein trauriger junger Mann.


Das sind Bilder aus einer in Japan erschienenen Manga-Adaption von "Mein Kampf", die sich hervorragend verkauft: Rund 45.000 Exemplare wurden nach Verlagsangaben bisher abgesetzt. Ausgaben in anderen asiatischen Ländern sind in Vorbereitung. Hitler als Comic? Neu ist diese Idee nicht. Bereits 1989 publizierte der Hamburger Carlsen-Verlag eine historisch zuverlässige Biografie des Diktators in Bildform. Das zweibändige Werk fand unter anderem Einsatz bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Und auch als Cartoon hat der deutsche Diktator bereits eine lange Karriere hinter sich, man denke nur an Walter Moers' respektlos-entlarvende "Adolf"-Reihe mit dem schön schnarrenden Neurotiker Hitler in der Hauptrolle.
Grundlage war Hitlers Originaltext
Aber dies hier ist etwas anderes: Grundlage für den Manga "Mein Kampf" war nahezu ausschließlich Hitlers Originaltext. Deshalb erzählt die Bildergeschichte, wie Adolf als Bub von seinem Vater gezüchtigt wird, weil er lieber malt, statt sich auf eine Beamtenlaufbahn vorzubereiten. Oder wie der Gefreite Hitler kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs zweimal hintereinander erblindet - einmal durch einen Senfgas-Angriff und einmal vor Entsetzen, als er vom Erfolg der Novemberrevolution erfährt.
Die Bilder dazu sind mangatypisch schwarz-weiß und voll plakativer Tragik. Ein romantischer Verzweiflungs-Chic umweht den hageren Twen Hitler; ein düsterer Bohemien. Doch diese Art der Darstellung wirft die Frage auf: Darf man Hitler attraktiv finden?
Historiker sind heute sicher, dass Hitler es bei seiner umfangreichen Selbstdarstellung (800 Seiten) mit der Wahrheit nicht allzu genau nahm. So konnte der junge Hitler entgegen seiner eigenen Erzählung anfangs recht gut von seiner Waisenrente in Wien leben. Ebenso wird die zweifache Erblindung während des Kriegs heute von der Geschichtsschreibung weitgehend verneint. "Mein Kampf", entstanden nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch 1924 in Festungshaft, war keine biografische Selbstreflektion, sondern diente vor allem als Streit- wie als Rechtfertigungsschrift, in der der völkische Jungpolitiker seine kruden antisemitischen Theorien auszubreiten und anhand seines eigenen Lebens zu begründen versuchte.
Gemeinsamkeiten mit Goethe und Shakespeare
Besonders pikant: Die Comicfassung erschien in Japan in der Edition "Manga de Dokuha" (etwa "Lernen mit Manga") zusammen mit Manga-Adaptionen von Goethe- und Kafka-Werken. Zwei Dinge haben alle Bücher der Reihe, von "Faust" bis "Mein Kampf", gemein: Das Urheberrecht, das in Japan 50 Jahre nach dem Tod des Autors erlischt, ist abgelaufen. Die Bändchen (sie sind kaum hosentaschengroß) sind somit äußerst preiswert zu produzieren. Jede der Literaturadaptionen enthält im Vorspann ein kurzes Porträt des ursprünglichen Autors.
"Mein Kampf" also keine eitle Propaganda, sondern wichtiges Romanwerk? Federführend bei der Dokuha-Edition ist der Tokioter Verlag East Press. "Einer der Gründe, weshalb wir dieses Buch ausgewählt haben, ist: Jeder kennt es, aber kaum einer hat es gelesen", erläutert Hiroyo Omura von East Press auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. "Wichtig war mir, dass der Diktator selbst es geschrieben hat, weil ich ins Innere des Mannes vordringen wollte, der Geschichte gemacht hat."
Gezeichnet wurde der Comic vom Studio Variety Art Works aus Okinawa. Eine Künstlergruppe, die laut Aussage Omuras grundsätzlich anonym bleibt. Anzunehmen ist, dass es sich dabei um eines jener vielen Auftragszeichner-Studios handelt, von deren quasi-industriellem Ausstoß die gewaltige japanische Manga-Industrie (Umsatz 2008: rund 250 Millionen Euro) lebt. Berührungsängste politischer Natur scheinen die Künstler jedenfalls nicht zu haben. Von ihnen stammt auch eine Manga-Adaption von Karl Marx' "Das Kapital".
Die Deutschen als Katzen, die Juden als Mäuse
Im westlichen Comic haben sich Künstler dem direkten Umgang mit Hitler, dem "Dritten Reich" und den damit verbundenen Symbolen bislang häufig entzogen. US-Autor Art Spiegelman wählte für "Maus", die aufrüttelnde Aufarbeitung des Lebens seines Vaters, der Auschwitz überlebt hatte, die Form der Fabel. Die Deutschen waren Katzen, die Juden Mäuse. Und in "Berlin", einer umfangreichen Graphic Novel über die letzten Monate der Weimarer Republik, verzichtet der Autor und Zeichner Jason Lutes konsequent auf die Darstellung von Hakenkreuzen - aufgrund der "veränderten Bedeutung des Symbols", wie er im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärte. "Als das Hakenkreuz in Gebrauch kam, war es nur ein abstraktes Symbol einer abstrusen politischen Partei. Keiner wusste, was daraus werden würde. Dass die Nazis später all ihre schrecklichen Taten begingen, veränderte den symbolischen Gehalt des Hakenkreuzes."
In Japan ist der Umgang mit diesem Teil der Geschichte unbefangener. In der ab 1983 entstandenen Serie "Adolf" etwa schildert Osamu Tezuka auf 1200 Seiten die Geschichte des "Dritten Reiches" von den Olympischen Spielen 1936 bis zu Hitlers letzten Tagen im Bunker. Hitler ist darin freilich wenig attraktiv. Tezuka benutzt vor allem die Stilmittel der Karikatur und macht aus dem "GröFaZ" einen grölenden Fatzke, dessen monströs verzerrte Mimik abschreckend bis lächerlich wirkt.








Ähnliche Stilmittel finden sich im Manga "Mein Kampf" nur andeutungsweise. Ungebrochen reflektieren die Zeichnungen Hitlers Eigenliebe und stellen das Bild aus, das er von sich selbst entwarf. In einem Bruch mit der Vorlage enthält der Band zudem Szenen Hitlers als Redner bei einem der Nürnberger Reichsparteitage. Auch hier wirkt der "Führer" vor allem entschlossen, kaum dämonisch. Er ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine sympathische Gestalt. Die Begegnung mit Rudolf Hess in der Haftanstalt Landsberg gerät sogar zum Ausdruck unbeschwerter Männerfreundschaft: Mit offenen Armen empfängt der Verurteilte fröhlich seinen Mithäftling und erklärt ihm onkelhaft den Pläne für sein Buch.
Im bayerischen Finanzministerium, das seit 1945 alle Rechte an Hitlers Text verwaltet, zeigt man sich auch ohne Kenntnis der japanischen Version skeptisch. "Es erscheint uns nur schwer vorstellbar, dass ein Comic das geeignete Mittel wäre, um sich mit den Inhalten von Adolf Hitlers 'Mein Kampf' in der gebotenen Weise kritisch auseinanderzusetzen", lässt sich der zuständige Pressereferent Horst Wolf in einen offiziellen Statement zitieren. Wolfs Kollege Cajetan Eder führt auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE weiter aus, dass man aufgrund der rechtlichen Situation in Japan nicht gegen die Adaption vorgehen könne. Obwohl man es gern würde: "Wenn wir die Möglichkeit haben, gegen so etwas vorzugehen, dann tun wir das auch."




Quelle: "Mein Kampf" als Comic: Lernen mit Hitler - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Kultur