Den "Bürger Gauck" gibt es nicht mehr: Die Bundesversammlung wählt Joachim Gauck zum elften Bundespräsidenten. Der frühere Bürgerrechtler nimmt die Wahl an. Willkommen im präsidialen Alltag!

Joachim Gauck ist zum 11. Bundespräsidenten Deutschlands gewählt worden. Der parteilose Theologe und frühere DDR-Bürgerrechtler erhielt im ersten Wahlgang der Bundesversammlung 991 Stimmen, wie Bundestagspräsdent Norbert Lammert (CDU) mitteilte. Gauck nahm im Anschluss die Wahl an. Die von der Linkspartei aufgestellte Gegenkandidatin Beate Klarfeld bekam 126 Stimmen, es hab 108 Enthaltungen.

Nach seiner Wahl beginnt für Gauck der präsidiale Alltag. Als neuer Hausherr im Schloss Bellevue warten auf den 72-Jährigen eng umrissene Aufgaben und Zuständigkeiten, die das Grundgesetz vorgibt. Dabei steht ihm wie seinen Vorgängern vor allem die Macht des Wortes zur Verfügung. Eine Mitgliedschaft in der Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft ist ihm verwehrt. Auch darf er kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben.
Zunächst vertritt der Bundespräsident den Bund laut Verfassung völkerrechtlich, schließt Verträge mit anderen Staaten und beglaubigt deren Gesandte. Ganz in diesem Sinne dieser repräsentativen Aufgaben wird Gauck wie seine Amtsvorgänger kurz nach seiner Vereidigung mehrere Antrittsreisen ins europäische Ausland sowie in die Bundesländer absolvieren. Wann und wohin liegt in seiner Entscheidung.

Antrittsbesuche bei den Nachbarn

Seinen Vorgänger Christian Wulff führte die erste Reise auf eigenen Wunsch zum Europäischen Parlament, verknüpft mit einem Antrittsbesuch in Frankreich. Traditionell ganz am Anfang stehen zudem Besuche in Italien, Österreich, den Niederlanden, Polen, Tschechien und Belgien sowie bei der Europäischen Union und der NATO in Brüssel.
Von Wulff bereits fest zugesagt war eine Rede am Gedenktag zur Befreiung der Niederlande am 5. Mai in Breda. Als wahrscheinlich gilt, dass nun Gauck diesen Termin wahrnehmen wird. Es wäre die erste Ansprache eines Deutschen beim Befreiungstag in Erinnerung an den 5. Mai 1945.
Im Juni könnte auch ein Besuch bei der Fußball-EM in Polen und der Ukraine auf dem Programm stehen - vor allem dann, wenn das deutsche Team die Endrunde erreichen sollte.

Euro-Gesetze zur Prüfung

Vom Bundespräsidenten werden zudem die Gesetze der Regierung geprüft und verkündet. Bei verfassungsrechtlichen Bedenken kann er seine Unterschrift verweigern. Horst Köhler etwa hat in seiner Amtszeit zwei Gesetze gestoppt. Auf Gaucks Schreibtisch dürften schon bald Vorhaben im Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise landen - etwa zum geplanten Fiskalpakt und dem Rettungsfonds ESM.



Zur weiteren Aufgabe des Staatsoberhaupts gehören die Ernennung und Entlassung der Bundesminister, jeweils auf Vorschlag des Bundeskanzlers. Auch Kanzler oder Kanzlerin werden von ihm auf Ersuchen des Bundestages ernannt oder entlassen. In Ausnahmefällen kann er den Bundestag auflösen und den Gesetzgebungsnotstand ausrufen. Der Bundespräsident ernennt und entlässt zudem die Bundesrichter, die Beamten des Bundes, die Offiziere und Unteroffiziere. Er hat auch das Recht, Begnadigungen auszusprechen.

Die Kraft des Wortes

Vor allem an die Reden des künftigen Präsidenten richten sich schon jetzt hohe Erwartungen. Der evangelische Theologe Gauck hat sein rhetorisches Geschick zu vielen Gelegenheiten unter Beweis gestellt. Wenig Zweifel herrschen daran, dass der ehemalige Chef der Stasi-Unterlagenbehörde wie es von ihm erwartet wird, parteipolitisch neutral agieren, sich aber dennoch in gesellschaftliche Debatten einmischen wird. Dabei dürfte auch für die Parteien, die ihn unterstützen, das Urteil nicht immer glimpflich ausfallen.
Das Wort des ersten Staatsbürgers hat in der Öffentlichkeit hohes Gewicht. Beispiele dafür sind die Ansprache Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus im Jahr 1985, die Ruck-Rede von Roman Herzog 1997 oder der Auftritt von Johannes Rau vor der israelischen Knesset im Jahr 2000. Von Gaucks Vorgänger Wulff ist die Rede zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung im Jahr 2010 in Erinnerung geblieben. Aus dieser sorgte vor allem der Satz für Aufsehen, dass neben Christentum und Judentum inzwischen auch der Islam zu Deutschland gehöre.
Unklar ist, ob Gauck die Tradition der Berliner Reden wiederbeleben wird. Auch diese haben meist ein hohes Echo gefunden und dienten den Amtsträgern dazu, in gesellschaftlichen Debatten Akzente zu setzen.
Gauck hat bereits deutlich gemacht, dass das Thema Freiheit weiter sein Herzensanliegen sein wird. Kritiker werfen ihm vor, zu sehr auf dieses Thema eingeengt zu sein. Der 72-Jährige hat aber bereits erkennen lassen, dass er etwa die Bemühungen Wulffs um Integration fortsetzen will.
Vom neuen Präsidenten Worte werden aber auch Worte zur Finanz- und Wirtschaftskrise und zur Zukunft Europas erwartet. Gaucks Vorgängern Köhler und Wulff war vorgeworfen worden, sich in der Hochphase der Krise zu sehr zurückgehalten zu haben, obwohl diese bei den Bürgern viele Ängste auslöste. Wulff hat sich aber in den letzten Monaten seiner Amtszeit verstärkt zum Krisenmanagement der Eurostaaten zu Wort gemeldet. Eine Rede in Brüssel war in Vorbereitung und fest eingeplant. Unklar ist, ob nun Gauck diese halten wird.
Bundestagspräsident Norbert Lammert machte zu Beginn der Bundesversammlung am Sonntag deutlich, mit keinem Amt seien mehr Erwartungen in Hinblick auf Vertrauen und Autorität verbunden. "Die Erwartungen und Hoffnungen an den Bundespräsidenten sind riesig." Und er warnte zugleich: "Weder geht das Amt in der Person auf noch die Person im Amt."


Quelle: (dpa, rts, N24) http://www.n24.de/news/newsitem_7768671.html