Wer hätte das gedacht: In Teilen der Union wird eine Sozialrevolution erwogen. Eine Arbeitsgruppe unter Führung von Thüringens Ex-Ministerpräsident Althaus will Hartz IV abschaffen - und nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen ein Bürgergeld von 600 Euro für alle einführen. Doch ist die CDU reif dafür?
Berlin - Für große Visionen ist die
CDU nicht unbedingt bekannt. Doch womöglich täuscht dieser Eindruck. Denn führende Politiker der Partei träumen von einer gigantischen Sozialrevolution in Deutschland: einer Großreform, die rund 800 Milliarden Euro jährlich verschieben würde.
Die Vorgeschichte: Vor drei Jahren rief die Parteiführung die Kommission "Solidarisches Bürgergeld" unter der Leitung des damaligen Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus ins Leben. Am kommenden Montag will Althaus nun zum Abschluss der Kommissionsarbeit einen Bericht im Berliner Konrad-Adenauer-Haus präsentieren. Dieser liegt SPIEGEL ONLINE bereits vor. Darin heißt es, dass Hartz IV komplett abgeschafft werden soll. Im Gegenzug soll ein Bürgergeld für jedermann eingeführt werden - unabhängig von individuellen Lebensumständen. Die Höhe dieses Grundeinkommens: 600 Euro für Erwachsene und genauso viel für Kinder. 200 Euro pro Person müssten allerdings verpflichtend in die gesetzliche Krankenkasse eingezahlt werden.
Das Besondere daran: Mit den verbleibenden 400 Euro läge das Bürgergeld immer noch zehn Prozent über dem heutigen Regelsatz von Hartz IV. Und die Bürger wären nicht mehr Bittsteller wie bisher. Sie müssten nicht länger ihre Bereitschaft zu arbeiten nachweisen, sondern bekämen jeden Monat automatisch vom Finanzamt ihre 600 Euro, egal ob arbeitslos oder erwerbstätig. Damit nicht genug - die Menschen sollen zusätzlich noch einen sogenannten Bürgergeldzuschlag beantragen können, der die Kosten der Unterkunft abdeckt. Im Gegenzug fielen bisherige Sozialtransfers komplett weg, neben dem Arbeitslosengeld II (also Hartz IV) auch die Sozialhilfe, das Kindergeld und das Bafög.
Schon seit Jahrzehnten diskutiert
"Die Einführung des Solidarischen Bürgergeldes bietet die Chance zur Revitalisierung der Sozialen Marktwirtschaft", sagt Kommissionschef
Dieter Althaus, der mittlerweile als Manager für den Autozulieferer Magna
arbeitet. Er sehe in seinem Konzept eine "Verbindung aus sozialer Sicherheit und wirtschaftlicher Freiheit".
Anlass für die Debatte über das Bürgergeld war die Kritik an der Hartz-Reform. Das Bürgergeld ist verwandt mit der Idee des bedingungslosen
Grundeinkommens, das unter anderem Götz Werner propagiert, der Miteigentümer der Drogeriekette dm. Dieser hat am Abschlussbericht der CDU-Kommission mitgearbeitet. Befürworter des Grundeinkommens finden sich seit Jahrzehnten auch bei den Grünen, außerdem in der Linkspartei und außerparlamentarischen Initiativen. Sie führen vor allem zwei Punkte an:
- Das soziale Argument: Das bestehende Hartz-IV-System setze zu sehr auf Zwang, wirke für Millionen Menschen entwürdigend und biete keine ausreichende Absicherung gegen Armut.
- Das ökonomische Argument: Das bestehende System schaffe am Arbeitsmarkt falsche Anreize. Denn sobald ein Erwerbsloser eine Arbeit aufnimmt, verliert er - zumindest teilweise - seinen Anspruch auf staatliche Leistungen.
Althaus und sein ehemaliger Staatssekretär Hermann Binkert, die Hauptautoren des CDU-Berichts, schlagen nun vor, das Bürgergeld in Form einer sogenannten negativen Einkommensteuer von den Finanzämtern auszahlen zu lassen. Das bedeutet: Wer keine eigenen Einkünfte hat, soll den Staatstransfer plus Zulagen in voller Höhe erhalten. Bei Bürgern, die dagegen auf ihr Einkommen Steuern zahlen müssen, würden diese mit dem Bürgergeld-Anspruch verrechnet. In Althaus' Modell kommen Arbeitnehmer mit bis zu 18.000 Euro Einkommen in den Genuss einer Bürgergeld-Überweisung. Wer mehr verdient, zahlt unter dem Strich Steuern an den Staat.
Abschaffung der Sozialabgaben
Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer mit 1200 Euro Bruttoeinkommen würden nach dem neuen Modell beispielsweise 480 Euro Steuern fällig. Weil er aber umgekehrt 600 Euro Bürgergeld erhielte, würde er unter dem Strich noch 120 Euro zusätzlich zu seinem Einkommen bekommen. Dieser Kombilohn soll die Bürger animieren, trotz niedriger Löhne zu arbeiten.
800 Milliarden Euro würden auf diese Weise am Ende verschoben. Denn Althaus und Binkert wollen sämtliche Sozialbeiträge streichen, die Firmen und Beschäftigte heute in die Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenkasse zahlen. Stattdessen schlagen sie vor, das
Sozialsystem aus drei Quellen zu finanzieren: einer einstufigen Einkommensteuer von 40 Prozent auf alle Verdienste einschließlich Mieteinkünften und Kapitalerträgen, der Mehrwertsteuer und einer Lohnsummenabgabe in Höhe von 18 Prozent, welche die Unternehmen entrichten. Am Ende falle die Belastung der meisten Bürger durch Steuern und Abgaben insgesamt geringer aus als heute, sagt Althaus. Einige Gruppen wie Kapitalbesitzer müssten wegen der einheitlichen 40-Prozent-Steuer größere Lasten tragen.
Ob das System gerechter wäre als das heutige, müsste man erst noch durchrechnen. Der einstufige 40-Prozent-Steuersatz für niedrige wie hohe Einkommen könnte immerhin dazu führen, dass Wohlhabende und Reiche im Vergleich zu heute Vorteile hätten. Gegenwärtig liegt der Spitzensteuersatz bei 45 Prozent.
Die Kritiker des Bürgergeldes sind in der CDU in der Mehrheit
Ökonomen diskutieren die Finanzierbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens äußerst unterschiedlich. Zu einem klaren Nein kamen die fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Thomas Straubhaar, Chef des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, ist dagegen
ein Befürworter des Grundeinkommens.
Wie es nun in der CDU weitergeht - fraglich. Denn die Kritiker des Bürgergeldes sind in der Mehrheit. Ihr Anführer ist Kanzleramtsminister Ronald Pofalla.
Auch Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs sagt: "Das Modell des Solidarischen Bürgergeldes ist keine Alternative zum bestehenden Sozialsystem. Es weckt falsche Hoffnungen, denn es entkoppelt das eigene Einkommen von der Notwendigkeit der Erwerbsarbeit."
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hingegen würdigt die Tätigkeit der Kommission. Der Bericht über das Bürgergeld liefere "eine wichtige Grundlage" für die weitere Arbeit der Partei, sagte er. "Die von der Kommission gefundenen Erkenntnisse und Diskussionsbeiträge werden im CDU-Bundesfachausschuss Arbeit, Sozialpolitik und Gesundheit weiter diskutiert werden." Das kann man auch als Begräbnis erster Klasse für das Projekt verstehen. Denn konkrete politische Maßnahmen sind zunächst nicht geplant.
Althaus' Mitstreiter Thomas Dörflinger, Bundestagsabgeordneter und Chef des katholischen Kolping-Verbandes, ist dennoch optimistisch. "Das Thema Bürgergeld ist ein programmatischer Meilenstein mit hoher Relevanz für die Union", sagt er. "Der Grundgedanke ist richtig. Das Bürgergeld ist keine Faulenzerprämie."